Es ist wieder Montag und mit ihm unsere nächste Mutmachgeschichte. Heute erzählt uns Sabine Lises Geschichte.

 

Lises Geschichte

 

 

Lise heute

Am 30. Oktober 2013 ist Lise vor ein Auto gelaufen. Die ganze Gesichtspartie hat es voll erwischt. Die Augen schwollen an, der Kiefer war schief. Wir sind sofort in die Tierklinik. Sie hatte ein Schädel-Hirn-Trauma, die Augen hat es erwischt und das Kiefer war gebrochen. Der restliche Körper im Großen und Ganzen ohne Verletzungen.

Am 2. November konnte sie endlich in Narkose gelegt werden für ein CT um überhaupt zu erkennen, was alles im Kopfbereich verletzt ist. Durch den Bruch des Kiefers war der ganze Hals-Rachen-Raum geschwollen, dass sie nicht schlucken konnte und wollte. Deshalb wurde ihr eine Speiseröhrensonde gelegt.

Lise war zu dem Zeitpunkt erst 1,5 Jahre alt und sehr scheu gegenüber Fremden. Sie war in der Klinik völlig gestresst. Deshalb hat sie sich auch ständig übergeben, was mit der Sonde fatal war. Nach ein paar Tagen musste die Sonde entfernt werden. Die einzige Möglichkeit war eine Magensonde. Für eine Narkose war Lise schon extrem schwach, aber das war ihre einzige Chance. Lise hat sich durchgekämpft und die OP überstanden. Jetzt konnte sie wenigstens sicher ernährt werden.

Die zweite große Baustelle waren die Augen. Ich weiß nicht mehr was es alles für Probleme gab, aber Lise hatte das volle Programm. Es war ziemlich sicher, dass sie ein Auge verlieren wird, das andere Auge hofften sie retten zu können.

Mit der Magensonde wurde Lise stabiler. Aber dann kam der nächste Schlag. Das bessere Auge lief aus und musste entfernt werden. Das andere Auge war schon sehr kritisch, aber die Ärzte hofften noch, wenigstens einen Rest Sehschärfe retten zu können.

Mittlerweile war Lise schon über 2 Wochen in der Tierklinik und völlig depressiv. Sie hat in der Klinik keine Reaktionen mehr gezeigt. Wir wollten aber noch nicht aufgeben und haben sie mit nach Hause genommen, in der Hoffnung, dass sie dort wieder etwas Lebensmut bekommt. Wir hatten abwechselnd Urlaub, um sie nicht allein zu lassen. Außerdem mussten wir ihr alle 2 Stunden Augentropfen geben. Und 6x am Tag Futter über die Sonde. Lise war sehr empfindlich und wir konnten ihr immer nur minimale Mengen über die Sonde geben, damit sie das nicht erbricht. Zu Hause konnte sie sehr entspannt schlafen, aber wenn sie wach war, war sie sehr unruhig. Aber es war Leben in ihr.

Dann fing sie plötzlich an völlig zu verschleimen und sie konnte kaum atmen. Außerdem hat sie über 2 Tage weder Urin noch Kot abgesetzt. Und ihr ging es richtig schlecht. Das war der Moment, an dem wir an einem Sonntagnachmittag wieder mit ihr in die Klinik sind… mit den traurigsten Gedanken. Wir wussten, dass unsere Lieblingsärztin an dem Tag Notdienst hatte und wir wollten alles unbedingt mit ihr besprechen.

Auf dem Weg in die Klinik hat Lise in der Box randaliert wie noch nie. Als ob sie gemerkt hätte, welche traurigen Gedanken wir hatten. Sie hat gehustet, geniest und eingenässt. Wir kamen mit einer völlig verschmutzten aber richtig lebendigen Lise in der Klinik an. Die Ärztin hat Lise untersucht und meinte, dass sie so einen gar nicht so schlechten Allgemeinzustand hat. Sie half uns, Lise wieder zu säubern, die völlig verdreckt war. Lise saß da wie eine Königin, um die die Untertanen schwänzeln. Kein Gedanke mehr dran, sie gehen zu lassen. Sie hat sich eine Erkältung eingefangen und war deshalb so verschleimt. Nichts tragisches. Und so konnten wir wieder glücklich mit ihr nach Hause. Auf dem Heimweg lag sie dösend in der Box. Keine Randale mehr.

Aber die Gefühlsachterbahn fuhr weiter.

2 Tage drauf, am Dienstag, 19.11. musste Lise wieder heftig niesen… und das zweite Auge lief aus. Die Entscheidung war gefallen. Das Auge musste auch entfernt werden. Jetzt war Lise völlig blind. Lise hat einen Sturschädel und hat auch diese OP überstanden. Danach hatte sie ein regelrechtes Hoch. Sie ließ sich von allen in der Klinik streicheln und verhätscheln.
Am Freitag war sie wieder fit genug, dass sie heim durfte. Ihr Kiefer und ihr Hals-Rachen-Raum waren wieder völlig in Ordnung, aber Lise hat nichts gefressen. So wurde sie weiter über die Magensonde ernährt.
Dann ging es wieder bergab. Lise lag in ihrem Zimmer und schlief nur. Musste sie aufs Klo, dann stand sie auf, ging einen Schritt machte hin und ging wieder den Schritt zurück auf ihr Bett. Wenn ich sie ins Klo gesetzt hatte: keine Chance. Egal was ich ihr angeboten habe: Streu, Sand, Erde…nichts. Sie stand auf, ging 1-2 Schritte, machte hin und ging wieder zurück in ihr Bett.
Ich hab auch versucht sie zum Fressen zu animieren, aber ich hatte keine Chance. Sie wollte sich auch nicht bewegen. Sie lag auf dem Bett in ihrem Bettchen und das war’s.

Das ging bis Montag. Wieder war ich völlig verzweifelt. Jetzt ging es Lise körperlich besser, jetzt spielt die Psyche nicht mehr mit. Sie war völlig apathisch und depressiv. Es war immer jemand bei ihr. Sie lag dann völlig entspannt da. Aber mehr auch nicht. Am Montagabend haben wir dann beschlossen, dass Lise aus ihrem Zimmer einfach raus muss. Sie braucht andere Reize. Also haben wir Lise ins Wohnzimmer getragen und auf die Couch gelegt. Da wollte sie runter. Also hab ich sie runter gesetzt. Was macht Lise… geht zielstrebig zum Kratzbaum und kratzt ausgiebig. Dann hat sie eine Runde im Wohnzimmer gedreht und ging zurück zur Couch. Dann hab ich so hochgehoben und wieder auf die Decke gesetzt. Aber nicht mit Lise. Lise sprang völlig lässig – als ob sie schon immer blind wäre – wieder von der Couch und drehte noch eine Runde.
Aber Fressen… nichts. Egal was ich ihr vor die Nase gestellt habe.
Aufs Klo gehen: nein – immer noch einfach nur neben sich. Es standen schon überall Klos und ich hab es ihr immer wieder gezeigt. Aber nein, sie ging nicht in ein Klo.

Am Dienstag hab ich sie morgens wieder ins Wohnzimmer getragen und bin den ganzen Tag bei ihr geblieben. Dann kam die Post mit einem „Alles wird gut“-Paket von Freundinnen. Da war u.a. auch Katzenfutter drinnen. Wir haben ja noch eine Katze, Lises Schwester Emmy, und der hab ich dann am frühen Abend dieses Futter gegeben. Emmy fraß und ging wieder raus. Plötzlich stand Lise neben mir und maunzt mich an. Ich: „Lise willst du auch Futter?“ und hielt ihr ein bisschen was von dem Futter hin. Da fing sie an zu fressen, als ob das völlig selbstverständlich wäre.
Nach dem Fressen ging sie Richtung Treppe. Ich hab sie nach unten getragen, da marschiert sie völlig selbstverständlich zum Klo, klettert rein und geht aufs Klo. Die Treppe hoch wollte sie schon alleine gehen.

Und ab dem Moment hatten wir unsere Lise wieder. Danach ging es mit riesigen Schritten voran. Nach ein paar Tagen hat sie wieder genug gefressen, dass die Sonde kein Thema mehr war. Und die Unsauberkeit war auch Geschichte. Aber es wurde nur das Klo im Keller benutzt. Alle anderen Klos konnten wir wieder wegräumen.
Und jetzt 4 Jahre später ist sie eine völlig normale – aber halt blinde – Katze. Mittlerweile haben wir 4 Katzen und Lise ist die Chefin und gibt den Ton an.

Es ist ein langer Bericht geworden, aber es war 3-4 Wochen eine heftige Gefühlsachterbahn. Aber Lise hat uns gezeigt, dass man Geduld und Zeit braucht und einfach an die Katze glauben muss.

Ich würde gerne mit dieser Geschichte Mut machen. Ich hänge auch ein Bild von Lise an. Sie ist eine wunderbare tolle Katze geworden. Wir sind ein halbes Jahr später umgezogen – was Lise ganz locker weggesteckt hat. Und seitdem hat sie einen eingezäunten Garten und kann somit auch wieder raus.

Lise im Garten

– Sabine Baumann –

Liebe Sabine, herzlichen Dank, dass du eure Geschichte mit uns geteilt hast.

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