Emma erklärt: Dunning-Kruger-Effekt – die Krux mit der Selbstüberschätzung
Emma erklärt
Dunning-Kruger-Effekt - die Krux mit der Selbstüberschätzung
“Melde dich unbedingt in der Gruppe an, die kennen sich dort richtig gut aus!” – Ein Satz, den man in den sozialen Medien häufiger liest, wenn es um Krankheiten bei Katzen geht. Hin und wieder ist es so, dass dem wirklich der Fall ist und in Gruppen kompetente Menschen unterwegs sind, die ihre Grenzen kennen und im Rahmen dieser gezielt helfen können. Weitaus häufiger vertreten ist jedoch leider der personifizierte Dunning-Kruger-Effekt. Darüber möchte ich euch heute ein wenig erzählen, nachdem wir im letzten „Emma erklärt“ schon ein ähnliches Thema hatten.
Genauer gesagt, möchte ich euch eine Geschichte erzählen. Die Namen der Protagonisten sind willkürlich gewählt und haben nichts mit realen Personen zu tun.
Wenn du nicht weißt, was der Dunning-Kruger-Effekt ist, dann sieh dir vielleicht erst einmal dieses kurze Video an, in dem der Effekt kurz und knackig erklärt wird.
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Bacardi
Eine Frau, nennen wir sie Sonja, lebt mit einem schon etwas älteren Kater namens Bacardi zusammen und liebt das Fellknäul natürlich sehr. Da Bacardi in letzter Zeit etwas abgenommen hat, viel trinkt und pinkelt und auch sonst nicht so fit wirkt, stellt sie ihn ihrer Tierärztin vor, die den Kater schon seit vielen Jahren betreut, und leider stellt diese eine Diagnose, die Sonja in große Sorge versetzt. Sie hat Angst, ist verunsichert und möchte ihrem Kater Bacardi natürlich gerne bestmöglich helfen. Soweit so verständlich.
Da sie sich mit ihren Sorgen nach dem Tierarztbesuch recht allein gelassen fühlt, erzählt sie in einer Facebook-Gruppe davon und bekommt dort die Empfehlung, in eine bestimmte “Fachgruppe” einzutreten. Die Gruppe sei DIE Gruppe zu dem Thema, so wird ihr gesagt, in der sich die richtigen (Anm. d. Red. selbsternannten) Experten tummeln würden. Außerdem wird sie schon einmal darauf hingewiesen, dass Tierärzten nicht zu trauen sei und dass diese pauschal von dieser (Anm. d. Red.: leider recht häufigen) Krankheit meist keine Ahnung hätten. Zumindest nicht annähernd so viel wie die Experten in der Gruppe.
Sonja in ihrer Sorge um Bacardi tritt also in diese Gruppe ein. In dieser Facebook-Gruppe tummelt sich unter anderem auch die Christel. Die Christel hat – wie in ihrem Profil zu lesen ist – die Schule des Lebens besucht (weitere Qualifikationen nicht ersichtlich) und ist quasi der Mensch gewordene Dunning-Kruger-Effekt. Soll heißen, Christel kann eigentlich gar nichts, leidet aber unter gewaltiger Selbstüberschätzung und ist der festen Überzeugung, sie sei die absolute Expertin zu dem Thema. Da sie sehr von sich überzeugt ist und sich auch entsprechend verkauft, wird Dunning-Kruger-Christel von den anderen Gruppenmitgliedern verehrt und fühlt sich durchwegs in ihrer Ansicht bestätigt.
Sonja stellt jetzt also ihren Fall in der Gruppe dar, woraufhin natürlich sofort Christel markiert wird. Dunning-Kruger-Christel ist jetzt voll in ihrem Element. Sie schlüpft zu Hause vorm PC in ihren weißen Kittel, legt sich ihr – eigens zu diesem Zweck angeschafftes – Stethoskop um den Hals, überlegt ob sie vielleicht auch noch den Kasack und das Otoskop… entscheidet sich aber dann aus Zeitgründen dagegen und lässt sich erst einmal alle Befunde samt Laborergebnissen schicken (Blutbilder sind nämlich absolut ihr Ding, da kann sie so richtig zeigen, was sie kann).
Auf Basis dieser Daten erstellt Sie dann (Anm. d. Red.: Wir vermuten schwer, dass sie dafür eine Glaskugel oder alternativ ein Pendel zur Hilfe nimmt, genau wissen wir es nicht – anders als Christel können wir nämlich leider nicht hellsehen.) aus der Ferne ohne den Kater je gesehen zu haben, eine Diagnose, die selbstverständlich vollkommen von der der Tierärztin abweicht. Entsprechend ist die von der Tierärztin angedachte Therapie nach Einschätzung von Dunning-Kruger-Christel natürlich vollkommen falsch und diese eine inkompetente Vollidiotin.
Christel, nach wie vor felsenfest von sich überzeugt, erstellt nun erst einmal einen neuen Therapieplan für Bacardi, der zunächst einmal ganz viele Produkte enthält, die irgendetwas mit Schwingungen zu tun haben, aber keine nachgewiesene Wirkung aufweisen und erklärt Sonja ganz genau, dass sie diese Mittel nur mit Wasser oder in Schleckpaste geben darf, damit diese über die Maulschleimhaut aufgenommen werden können, aber keinesfalls in Futter, da die aggressive Magensäure der Katze die Mittel ansonsten zerstören würde.
Aber ich schweife ab. Weiter mit unserer Geschichte.
Christel betont noch einmal die Wirksamkeit der von ihr verordneten Mittel, die von Pankreatitis und Krebs heilen bis hin zu Harnstoff senken und die Schwanzspitze pink färben so ziemlich alles können und beschwört Sonja, sich von der Tierärztin bloß nichts aufschwatzen zu lassen und das vorgeschlagene Diätfutter und die verordneten Medikamente auf keinen Fall zu geben.
Alternativ solle sie sich aber bei Dunning-Kruger-Christel nach einer Woche noch einmal melden, wie die Therapie angeschlagen habe. Christel würde dann entscheiden, ob die Therapie so fortgeführt würde oder ob noch eine Anpassung notwendig sei.
Um dem Ganzen noch einen intellektuellen Touch zu geben, führt Christel nun zum Abschluss auch noch einige englischsprachige Quellen an. Dass in der Schule des Lebens kein Englisch gelehrt wurde und Christel – nun sagen wir mal – einige Lücken hat, was die englische Sprache noch dazu im fachlichen Kontext angeht, lassen wir jetzt einfach einmal unter den Tisch fallen. Wen interessieren solche Kleinigkeiten schon.
Soweit so gut. Halten wir einmal kurz fest. Wir haben jetzt einmal die Einschätzung der Tierärztin, die die Katze samt Personal schon jahrelang kennt und betreut, sie live gesehen und untersucht hat, paar Jährchen Studium und noch ein paar Jährchen mehr Berufserfahrung hinter sich hat und wir haben die Einschätzung einer Person, die Sonja völlig fremd ist, von der Schule des Lebens abgesehen, nicht einmal annähernd mit einer Qualifikation glänzen kann, sich aber – in grenzenloser Selbstüberschätzung – aufführt als wäre sie allwissend und einfach mal so aus der Ferne – ohne die Katze je gesehen zu haben – die Diagnose der Tierärztin auseinandernimmt und einen eigenen Therapieplan erstellt.
Wem wird Sonja nun vertrauen? Ihr ahnt was kommt…
Sonja findet das, was Christel da von sich gibt, alles sehr einleuchtend. Schließlich hat die Christel das sehr überzeugend erklärt und sie hat ja jetzt auch schon häufiger gelesen, dass die alle keine Ahnung hätten und einem nur das Geld aus der Tasche ziehen wollten und überhaupt. Also macht sie alles ganz genau so, wie von Dunning-Kruger-Christel vorgeschlagen. Sie setzt die von der Tierärztin mitgegebenen Medikamente ab, sie gibt kein anderes Futter und sie sucht auch nicht mehr – wie besprochen – die Tierärztin zum vereinbarten Kontrollbesuch auf, die ihr in den letzten Jahren zur Seite gestanden hat.
Innerhalb von drei Wochen hat Bacardi so sehr abgebaut, dass als einzige Option bleibt, ihn einschläfern zu lassen, um ihn vor weiterem Leid zu bewahren. Diesen Dienst darf dann (natürlich) wieder die Tierärztin übernehmen (kann und darf die Christel ja schließlich nicht und selbst wenn sie es könnte, wäre ihr das psychisch natürlich keineswegs zumutbar, könnte ja schließlich passieren, dass ihr Ego dann einen Knacks bekäme #ironieoff), während Christel in der Zwischenzeit schon wieder 12 andere Katzen “ferntherapiert” hat. Hätte man Bacardi direkt richtig behandelt, hätte er ohne Weiteres noch einige schöne Wochen, Monate oder sogar Jahre haben können.
Eine Geschichte ohne Happy End.
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Gerne würden wir es jetzt mit Jonathan Frakes halten und “Sie glauben diese Geschichte ist wahr. Falsch, sie ist frei erfunden.” schreiben, aber leider ist dem nicht so. Vielleicht ist manches ein wenig überzeichnet dargestellt (wir wissen beispielsweise natürlich nicht, ob Christel wirklich mit dem Stethoskop vor dem PC sitzt), aber im Kern ist sie wahr und es handelt sich dabei beileibe nicht um einen Einzelfall.
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Wer ist nun schuld an der ganzen Misere? Dass Dunning-Kruger-Christel unter gewaltiger Selbstüberschätzung leidet, ist das eine und leider kann man solchen Menschen nicht wirklich Einhalt gebieten, aber die Verantwortung für eure Tiere liegt bei EUCH.
Und wir sagen es auch gerne noch 50-mal: Ihr dürft kritisch sein, ihr dürft euch selbst informieren und Dinge hinterfragen und selbstverständlich auch gerne eine Zweit-, Dritt- oder Viertmeinung von anderen Tiermedizinern einholen, wenn ihr Zweifel habt oder das Gefühl, ihr kommt nicht weiter, aber bitte, BITTE seid doch (Pardon, my French!) nicht so BLÖD, das Leben eurer Tiere irgendeinem dahergelaufenen Mensch gewordenen Dunning-Kruger-Effekt im Internet anzuvertrauen!
Ihr kennt diese Menschen nicht, sie haben euer Tier weder je gesehen noch untersucht, ihr wisst nicht, was die wirklich können, egal wie überzeugend, das was sie von sich geben, auch klingen mag, und sobald sie euch auch nur annähernd an Dunning-Kruger-Christel erinnern, dann nehmt die Beine in die Hand und lauft. Denn dann handelt es sich mit 200%iger Sicherheit nicht um einen Menschen, dem ihr unser Leben anvertrauen solltet!
Wir haben nur dieses eine Leben und wir möchten uns bitte, BITTE darauf verlassen können, dass ihr alles dafür tut, dass wir unser Leben so lange wie möglich lebenswert führen können.
Wir sind keine Versuchskaninchen für Menschen, die in gnadenloser Selbstüberschätzung und ohne jedwede (oder zumindest ausreichende) Fachkompetenz Glaskugeldiagnosen und Therapievorschläge aus dem Ärmel schütteln.
Herzlichen Dank!
PS: Wer an Homöopathie glaubt und diese NEBEN DER TIERÄRZTLICHEN BEHANDLUNG (nicht stattdessen!!!) und in Absprache mit dem Tierarzt/der Tierärztin gerne einsetzen möchte (wie z. B. die SUC-Therapie bei Nierenerkrankungen), kann das natürlich gerne tun. Darum geht es hier nicht.
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