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„Was frisst du denn da schon wieder?“ Das Pica-Syndrom der Katze
Pica pica ist der wissenschaftliche Name der Elster und beschreibt ein Verhalten, im Rahmen dessen eigentlich ungenießbare Dinge willentlich verzehrt werden. Ein Beispiel dafür sind Katzen, die gezielt Plastik fressen. Unter den Begriff Pica fällt darüber hinaus je nach zu Rate gezogener Literatur auch das Kauen auf ungeeigneten Gegenständen, wie z. B. Kabeln oder das Nuckeln an Stoff oder auch an Körperteilen.
Abgrenzen muss man das versehentliche Verschlucken von Fremdkörpern beim Spielen, wie es bei der Katze unter anderem durch die besondere Beschaffenheit ihrer Zunge leider häufiger vorkommt.
Verschiedene Thesen zur Entstehung des Pica-Syndroms.
Das Pica-Syndrom ist bei der Katze bereits seit über 40 Jahren bekannt, jedoch weiß man bis heute nicht genau, warum Katzen gezielt Artikel wie Plastik, Haargummis, Wolle, Schuhbändel oder ähnliches verzehren. Es wurden aber im Laufe der Zeit so einige Untersuchungen und auf Basis der Ergebnisse Vermutungen angestellt. Beides wollen wir uns zunächst ein wenig näher ansehen.
Unterschiede zwischen verschiedenen Rassen: Bradshaw et al.1 beschrieben 1997, dass orientalische Katzen proportional häufiger von Pica betroffen waren, als andere Katzenrassen, wobei Wolle bevorzugt gefressen wurde. Hier muss man jedoch erwähnen, dass auch vorwiegend orientalische Katzen untersucht wurden. Bei Frank et. al.2 war kein gehäuftes Vorkommen bei einer bestimmten Rasse feststellbar, die meisten der untersuchten Katzen waren Hauskatzen.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Bei Bradshaw et al. und Frank et al. fand sich kein auffallender Unterschied zwischen den Geschlechtern. Bei Bamberger und Houpt (2006)3 waren Kater proportional häufiger betroffen. Die Kastration hatte bei 84 % der von Bradshaw et al. untersuchten Katzen keinen Einfluss auf Pica.
Unterschiede zwischen den Haltungsformen: Pica kommt bei reinen Hauskatzen häufiger vor, als bei Freigängern. Man vermutet als Ursache dafür Langeweile durch eine reizarme Umgebung, einen Mangel an sozialen Kontakten oder umgelenktes Jagdverhalten. Frank et al. stellten keine Unterschiede durch „Environmental Enrichment“ (Bereicherung des Lebensraums) fest. Jedoch beschäftigten sich die Katzen in der „Pica-Gruppe“ seltener allein mit ihrem Spielzeug. Zudem waren in deren „Pica-Gruppe“ mehr Freigänger als Wohnungskatzen vertreten.
Genetische Prädisposition: Es ist möglich, dass eine genetische Prädisposition an der Ausbildung eines Pica-Syndroms beteiligt ist. Das heißt, zeigte einer der Elternteile das Pica-Syndrom kann es nach Meinung von Experten sein, dass auch die Nachkommen ungeeignete Dinge verzehren.
(Zu) frühes Absetzen der Kitten: Ebenfalls als mögliche Erklärung für Pica wird die zu frühe Trennung von der Mutter genannt. Frank et al. fanden keinen Hinweis darauf, dass das zu frühe Absetzen einen Einfluss auf die Entstehung des Pica-Syndroms hat. Dennoch sollten Kitten in jedem Fall mindestens bis zum Abschluss der 14. Lebenswoche bei Mutter und Geschwistern bleiben! Haustiger empfiehlt – basierend auf aktuellen Erkenntnissen – nach Möglichkeit einen Umzug mit 16 Wochen.
Fütterungspraxis: Auch die Fütterungspraxis kann einen Einfluss auf die Ausbildung eines Pica-Syndroms haben. So zeigte sich, dass sich Katzen, die fasten müssen, eher an ungeeignetem Material vergreifen. Katzen mit Zugang zu Pflanzen (Katzengras) und solche, die ihr „Kaubedürfnis“ durch geeignetes Futter, z. B. rohes Fleisch in Stücken samt geeigneten Knochen, befriedigen dürfen, waren tendenziell weniger betroffen. Auch ein Verlangen nach Faser wird als mögliche Erklärung angegeben, hier konnte ein klarer Mangel jedoch nie dokumentiert werden.
Bei Frank et al. waren in der Pica-Gruppe weniger Katzen die „ad libitum“ gefüttert wurden, als in der Kontrollgruppe.
Neurologische Störungen: Im Hypothalamus, dem wesentlichen Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems, liegen das Hunger- oder Appetitzentrum und das Sättigungszentrum der Katze. Neurologische Störungen der Appetitkontrolle können zu ungewöhnlichen Vorlieben für bestimmte Materialien führen.
Verhaltensstörung/Zwangsstörung: Einige Experten sehen Pica als Zwangsstörung sekundär zu Angst an.
Gastrointestinale Störungen: Es gibt Vermutungen, dass Pica nicht als Verhaltensstörung zu betrachten ist, sondern durch eine Magen-Darm-Erkrankung oder –Störung, wie etwa eine gastrische Motilitätsstörung, also durch Probleme bei der Leerung des Magens, verursacht wird. Die gastrische Motilität spielt eine wesentliche Rolle beim Empfinden von Sattheit, Hunger und Völlegefühl. Auch IBD oder ein Befall mit Hakenwürmern werden als mögliche Ursachen genannt.
Frank et al. stellten fest, dass in der Pica-Gruppe häufiger gastrointestinale Symptome, wie Erbrechen, Durchfall oder Verstopfung auftraten, als in der Kontrollgruppe. Speziell Erbrechen kam in der Pica-Gruppe deutlich häufiger vor. Es konnte aber nur anhand des Fragebogens nicht bestimmt werden, ob das häufige Erbrechen eine Folge des Verzehrs ungeeigneter Dinge war, oder ob von Vornherein eine gastrointestinale Störung vorlag. Keine der Katzen in der Kontrollgruppe zeigte subtilere Formen einer Verdauungsstörung, wie Blähungen, Borborygmus („Darmgeräusche“) oder Aufstoßen.
Begleiterscheinung anderer Krankheiten: Katzen mit immunbedingter hämolytischer Anämie (IHA) zeigen häufig auch Pica-Symptome. Sie fressen z. B. Katzenstreu. Seltener wurde Pica in Zusammenhang mit einer Pyruvat-Kinase-Defizienz oder FIP beschrieben.
Alles in allem ist aber bis heute noch nicht eindeutig geklärt, welche Faktoren nun genau für die Entstehung des Pica-Syndroms verantwortlich sind. Entsprechend schwierig ist es, Katzen mit Pica-Syndrom und deren Haltern das Leben zu erleichtern.
Diese Dinge werden von Katzen mit Pica-Syndrom häufig verzehrt
Im Verlauf der Studie von Frank et al. (2015) wurde zwischen August 2012 und Februar 2014 Katzenbesitzern ein siebenseitiger Fragebogen ausgehändigt, der sich mit dem Verhalten der Katzen mit Pica-Syndrom beschäftigte.
Dabei ergab sich bei 91 Katzen folgende Aufteilung (Mehrfachnennungen waren möglich):
– Schuhbändel und andere fadenähnliche Gebilde (51 Katzen)
– Plastik (41 Katzen)
– Stoff (39 Katzen)
– Andere Dinge (38 Katzen)
– Gummi (28 Katzen)
– Papier oder Pappe (24 Katzen)
– Holz (5 Katzen)
Als andere Dinge wurden u. a. Toilettenpapier, Haarbänder, Wattestäbchen, Klebeband, Ohrstöpsel, Seife, Schwamm, kleiner Kieselstein, Katzenstreu und Schmutz genannt.
Oben genannte Zahlen beziehen sich auf Katzen, die die ungeeigneten Dinge auch verzehrten. Es wurde aber auch erfragt, auf was herumgekaut oder an was genuckelt wurde.
Von 100 Katzen, die auf Dingen herumkauten, kauten:
– 73 auf Plastik
– 61 an Papier
– 45 an Gummi
– 26 an Holz
Teilweise fraßen die Katzen Dinge und kauten auf anderen nur herum. An Stoff nuckelten insgesamt 25 Katzen, von denen 56 % diesen auch fraßen.
Erstmaliges Auftreten des Pica-Syndroms
Das Pica-Syndrom tritt meist innerhalb des ersten Lebensjahres auf und bleibt dann für mehrere Jahre bestehen.
Der Umgang mit der „Pica-Katze“
Das Zusammenleben mit einer „Pica-Katze“ kann sehr nervenaufreibend sein, lässt sich aber gut regeln, wenn man einige Vorsichtsmaßnahmen beachtet.
AM ALLERWICHTIGSTEN: Alles, was von der Katze gerne verzehrt wird, aber nicht verzehrt werden soll, wird außer Reichweite gebracht und für die Katze unzugänglich aufbewahrt!
Das erfordert manchmal etwas Konsequenz, je nachdem, um was es sich handelt (z. B. Haargummis im Bad während des Duschens), funktioniert aber, wenn man es einmal verinnerlicht hat, eigentlich ganz gut.
Daneben lohnt es sich, die verschiedenen möglichen Erklärungen für Pica, auf die man Einfluss nehmen kann, etwas genauer in Augenschein zu nehmen.
Gesundheitliche Ursachen abklären: Verzehrt eine Katze plötzlich eigentlich ungenießbare Dinge, z. B. Katzenstreu, führt der erste Weg am besten zum Tierarzt, um gesundheitliche Ursachen abzuklären.
Haltung verbessern: Die Wohnung ist erst einmal reizärmer als die Außenwelt. Hier ist der Katzenhalter gefragt, dafür zu sorgen, dass keine Langeweile aufkommt.
So können ein gesichertes Fenster, ein gesicherter Balkon oder sogar ein Freigehege der Katze neue Eindrücke verschaffen oder es können in der Wohnung (z. B. durch Bau eines Catwalk) neue Ebenen für die Katze zugänglich gemacht werden.
Lebt die Katze bisher alleine, wäre ein passender Katzenkumpel der erste Schritt, um dem Mangel an sozialen Kontakten und der Langeweile Abhilfe zu schaffen. Katzen sind fakultativ soziale Tiere und profitieren sehr, sehr häufig von einem Katzenkumpel.
Auch im direkten Umgang mit den Katzen kann für Beschäftigung gesorgt werden. Ratsam ist es zum Beispiel, Futter erarbeiten zu lassen oder der Katze beim Clickertraining Gelegenheit zu geben, ihr Köpfchen anzustrengen. Wer beschäftigt und ausgelastet ist, ist zufriedener und hat weniger Zeit für andere, vielleicht unerwünschte Beschäftigungsmöglichkeiten.
Bei Katzen, die als Folge von Stress (z. B. bei Abwesenheit des Besitzers) oder Angst mit dem Verzehr oder „Bekauen“ ungeeigneter Dinge beginnen, kann man bei diesen Ursachen ansetzen. Gegebenenfalls lohnt es sich, sich professionelle Unterstützung zu holen.
Fütterungspraxis verändern: Die Katze sollte so viel Futter bekommen, wie sie benötigt, um ihren Energiebedarf zu decken. Gerade bei Katzenkindern im Wachstum kann das ziemlich viel Futter sein. Es lohnt sich also zu überprüfen, ob die aktuelle Futtermenge so in Ordnung ist oder gegebenenfalls angepasst werden muss. Ebenso kann es helfen, die Ration auf mehrere kleinere Mahlzeiten zu verteilen und/oder einen Teil des Futters im Rahmen von „Activity Feeding“ bereitzustellen. Experten empfehlen, Katzen mindestens 5x täglich zu füttern.
Um dem Gebiss Arbeit zu verschaffen, eignen sich größere Stücke rohes Fleisch, wenn sich die eigene Katze dafür begeistern lässt. (Achtung: Rohes Fleisch allein ist nicht ausgewogen und muss ergänzt werden. Zudem müssen beim Umgang mit rohem Fleisch Hygienemaßnahmen eingehalten werden). Auch Katzen im Zahnwechsel kauen gerne auf Gegenständen herum, auch hier kann man durch Alternativen Abhilfe schaffen.
Hilfe! Meine Katze hat xxx gefressen!
Die beste Vorbeugungsmaßnahme ist es, nichts herumliegen zu lassen, was der Katze gefährlich werden könnte. Verschluckt sie dennoch einen Fremdkörper, kann dies glimpflich ausgehen oder aber auch lebensbedrohlich sein. Es kann je nach verschlucktem Fremdkörper zu Magen-Darm-Verletzungen bis hin zum Darmverschluss kommen.
Konsultiert bitte AUF JEDEN FALL euren Tierarzt, wenn eure Katze einen Fremdkörper verschluckt hat. Je nach Fall wird man euch bitten, in die Praxis zu kommen oder auch die Katze nur zu beobachten.
(zuletzt aktualisiert: 01.09.2024)
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- J. W. S. Bradshaw, P. F. Neville, D. Sawyer: Factors affecting pica in the domestic cat. 1997. [↩]
- I. Demontigny-Bédard, G. Beauchamp, M.-C. Bélanger, D. Frank: Characterization of pica and chewing behaviors in privately owned cats: a case-control study. 2015. [↩]
- Bamberger M., Houpt KA. Signalment factors, comorbidity, and trends in behaviour diagnoses in cats: 736 cases (1991-2001). 2006 [↩]